Um sich für oder gegen einen Beruf entscheiden zu können, muss man wissen, was es für Möglichkeiten gibt. Interesse wecken und selbst ausprobieren ist dabei das Entscheidende. Und zwar nicht erst im Rahmen der Berufsorientierung in den Klassen 9 und 10, sondern schon ab der Grundschule.

Seit 2008 bietet das Telgter Modell Schülerinnen und Schülern spannende Einblicke in Telgter Unternehmen, aber auch Auszubildende und Mitarbeitende aus Unternehmen gestalten den Unterricht in Telgter Schulen aktiv mit. Die Zusammenarbeit von Schule und Wirtschaft wird dabei für die Schülerinnen und Schüler ganzheitlich erlebbar. Das Ziel: Junge Menschen lernen im Rahmen ihrer Schullaufbahn unterschiedliche Unternehmen und Berufe kennen. Die Unternehmen machen potenzielle Nachwuchskräfte frühzeitig auf sich aufmerksam.

„Schlechte Zeugnisnoten sind nicht alles.
Der Mensch mit seinen Talenten steht im Mittelpunkt.
Für eine positive Entwicklung braucht es Zutrauen, Vertrauen und Wertschätzung."

Magdalena Münstermann 

Anwendungsbezogene Vernetzung

Das Besondere: Alle Branchen und alle Schulformen sind mit dem Telgter Modell angesprochen. Schülerinnen und Schüler erhalten dank der Kooperation zwischen Unternehmen und Schulen konkrete Bezüge zwischen theoretisch erworbenem Wissen und praktischer Anwendung – eine positive Voraussetzung zur Lernmotivation und die gezielte praxisnahe Förderung von Interessen. Auf der Website des Telgter Modells zeigt die eigene Praktikums- und Ausbildungsbörse im Internet die offenen Stellen der rund 100 beteiligten Unternehmen an. Lehrerinnen und Lehrer finden zudem Unterrichtsangebote der Firmen, mit denen der Unterricht praxisnah gestaltet werden kann.

Konkrete Bezüge zu den Unterrichtsinhalten können neu gedacht werden: Warum z. B. den Satz des Pythagoras nicht bei einem Metallbauunternehmen mit der CNC-Fräse praktisch umsetzen, statt ihn nur vom Tafelbild abzuschreiben?

Niederschwellig bis spezialisiert

Ob Unternehmensparcours in der Grundschule oder Fischertechnik-AG für Technikbegeisterte am Gymnasium – über das Telgter Modell lassen sich reale Arbeitswelt und Schulunterricht sowie Menschen mit ihren Interessen und Fähigkeiten verbinden und Projekte initiieren. Um den Nutzen des Erlernens einer Fremdsprache zu erkennen, berichten Auszubildende von Münstermann  in der Schule von ihren Erfahrungen eines Auslandsaufenthaltes während ihrer Ausbildungszeit und von den sprachlichen Hürden, die es zu überwinden galt.

Weitere Informationen unter: www.telgter-modell.de

Kümmern, herausfordern und fördern

Wir entwickeln Lösungen lautet das Motto von Münstermann. „Doch man muss die Probleme kennen, um Lösungen dafür zu suchen“, weiß Magdalena Münstermann. Das gilt auch im sozialen Miteinander. Deshalb gibt es bei Münstermann immer ein offenes Ohr. „Ich erinnere mich an eine Gruppe Schüler, die gemeinsam mit ihrer Lehrerin bei uns im Unternehmen zum Rundgang waren. Zwei der Jungs haben dabei viel gesprochen und wurden von der Lehrerin ermahnt. Mir teilte sie am Rande mit, dass die beiden ein hoffnungsloser Fall seien“, erzählt Magdalena Münstermann. Wenige Tage später kamen genau diese beiden jungen Männer auf dem Fahrrad, ihre Bewerbungsmappen auf den Gepäckträger geklemmt, vorgefahren und wollten die Chefin sprechen. „Beide hatten schlechte Zeugnisse, haben mir aber mit strahlenden Augen erzählt, wie gern sie zu Hause am Mofa basteln und fragten nach einem Ausbildungsplatz. Und den bekamen sie beide, allerdings erst nach einem erfolgreich absolvierten Praktikum bei uns. Sie sind noch heute bei Münstermann beschäftigt und immer, wenn ich einen der beiden sehe, habe ich das Bild mit den Bewerbungsmappen auf dem Gepäckträger vor meinem geistigen Auge“, schmunzelt Magdalena Münstermann. Nur eine der vielen menschlichen Erfolgsgeschichten im Team Münstermann.

‚Geben Sie mir eine Woche‘ sagte ich damals und innerhalb weniger Tage hatte ich sieben weitere Telgter Unternehmen und die Wirtschaftsförderung von der Idee begeistert, Wirtschaft und Schule in Telgte auf einem neuen Weg zusammenzubringen.

Magdalena Münstermann

Fragen rund um das Telgter Modell an Magdalena Münstermann: 

Wie kam es zu der Idee für das Telgter Modell?

‚In meinem Unternehmen braucht kein Hauptschüler mehr die Klinke in die Hand zu nehmen‘ – dieser Satz und die damit verbundene Haltung eines Unternehmers auf einer Veranstaltung mit Vertretern aus Wirtschaft und Politik löste bei mir Empörung aus. Schließlich hatten wir bei Münstermann seit dem ersten Auszubildenden im Jahr 1978 durchweg positive Erfahrungen gemacht und alle Schulabschlüsse im Unternehmen vertreten. Als dann die Anfrage der Telgter Hauptschule für einen Unternehmensbesuch mit einer Schulklasse kam, waren die Konrektorin und ich uns schnell einig, dass dies ohne konkreten Aufhänger wenig zielführend sei. ‚Geben Sie mir eine Woche‘ sagte ich damals und innerhalb weniger Tage hatte ich sieben weitere Telgter Unternehmen und die Wirtschaftsförderung von der Idee begeistert, Wirtschaft und Schule in Telgte auf einem neuen Weg zusammenzubringen. 

Gibt es Zahlen, wie viele Schülerinnen und Schüler durch das Telgter Modell Unternehmen kennengelernt und Praktika/eine Ausbildung absolviert haben?

Wir haben das nicht gezählt. Allein die Tatsache, dass wir mit acht Unternehmen und einer Schule angefangen haben und heute bei rund einhundert Unternehmen und allen Schulformen in Telgte sind, zeigt die positive Entwicklung. Ich freue mich immer wieder, wenn ich Schülerinnen und Schüler bei uns beobachte und erleben darf, wie sie völlig neue Eindrücke gewinnen, etwas ausprobieren, dabei Spaß haben und am Ende der Veranstaltung glücklich mit ihrem Werkstück nach Hause gehen. Es ist eher ein gefühlter Erfolg, dass wir mit dem Telgter Modell auf einem sehr guten Weg sind und in unserem Unternehmen Nachwuchsförderung selbstverständlich gelebt wird.

Funktioniert das Telgter Modell überall?

Das Telgter Modell läuft längst nicht nur in Telgte. So diente die Idee des Telgter Modells als Vorreiter für das Programm Wirtschaft und Schule als Partner (WSP) der Bezirksregierung Münster, das inzwischen weit über Telgte hinaus Anwendung findet. Jedoch lässt es sich nicht einfach überstülpen, denn es lebt vor Ort. Es braucht engagierte Lehrerinnen und Lehrer mit Ideen ebenso wie Unternehmen, die verstehen, dass es sich lohnt, auch schon sechsjährigen Schülerinnen und Schülern Tür und Tor zu öffnen. Schule muss raus aus ihren Strukturen und weg von der klassischen Berufsorientierung. Deshalb bin ich in Wirtschaft und Politik ebenso wie im Bildungssystem bei vielen Entscheidungsträgern zu Gesprächen, um die Idee des Telgter Modells vorzustellen, Menschen zusammenzubringen und Veränderung in der Berufsorientierung mit voranzutreiben.

Welche Vision haben Sie für das Telgter Modell?

Ich wünsche mir, dass noch mehr Lehrerinnen und Lehrer die vielfältigen Angebote der Unternehmen im Rahmen des Telgter Modells für ihre Unterrichtgestaltung nutzen. So ist z. B. MINT in aller Munde und natürlich freuen wir uns bei Münstermann junge Menschen mit Spaß an Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik bei uns in Praktika oder Workshops zu fördern. Doch warum denken wir nicht ganzheitlich? Unternehmen können auch in Schulfächern wie Kunst und Sozialwissenschaften mit Schulen zusammenarbeiten. Wenn im Kunstunterricht das Thema Spiegelung durchgenommen wird, bietet sich z. B. ein Unternehmensbesuch an, bei dem vor Ort Spiegelungen an Maschinen fotografiert werden. Das Thema Mobbing gibt es nicht nur in der Schule, sondern auch im späteren Berufsleben. Was in einem solchen Fall zum Wohle des Betriebsklimas unternommen werden kann, erfahren Schülerinnen und Schüler praxisnah im Gespräch mit Personalverantwortlichen. 

Welche Herausforderung sehen Sie für die Zukunft?

Abiturienten, die nicht wissen, was sie nach dem Abi machen wollen, die immer noch nicht hergestellte Gleichwertigkeit von Berufsausbildung und Studium und die hohe Zahl an Studienabbrechern – Ich wünsche mir, dass wir nicht weiter an den Symptomen rumdoktern, sondern uns an die Ursachen trauen. Diese liegen in der Bildungspolitik. Mit Blick auf die Digitalisierung dürfen wir nicht vergessen, dass wir trotz zunehmender Künstlicher Intelligenz auch in Zukunft mit Menschen arbeiten werden. Für erfolgreiche Zusammenarbeit braucht es neben fachlichen auch sozialen Kompetenzen sowie gegenseitiges Lernen voneinander. Die menschliche Vernetzung, wie ich sie vom Dorfleben früher kenne, ist in unserer Gesellschaft auf der Strecke geblieben. Wir müssen wieder mehr Verantwortung übernehmen und uns um die Menschen kümmern.

„Alle Schülerinnen und Schüler in Telgte sollen wissen, dass es Münstermann gibt und mindestens einmal Kontakt zu uns gehabt haben - das ist unser Anspruch für die Zukunft des Telgter Modells.“

Frank Münstermann